Vom Durchgangs- zum Kopfbahnhof

Menschen am Mittwoch

Wilhelm Rometsch, stellvertretender Leiter des Bahnbetriebswerks Itzehoe, erinnert sich an Sturm, Flut und unterbrochene Bahntrassen Itzehoe

shz, 11.01.2012

Diese Nacht wird Wilhelm Rometsch sicherlich nicht so schnell vergessen – wie viele andere Menschen auch. Aber bei dem damaligen stellvertretenden Leiter des Bahnbetriebswerks Itzehoe ist es weniger die Flut im Allgemeinen, die die Erinnerungen an die Nacht auf den 17. Februar 1962 so plastisch werden lassen. Als „Jung von der Küste“, geboren wurde Rometsch zwar in den Niederlanden, aber groß geworden ist er in Brunsbüttel-Koog, hatte er genug Erfahrungen mit dem nassen Element. „Panik habe ich nicht gehabt – mit Wasser kannte ich mich ja aus.“ Vielmehr war es die „enorme technische und logistische Leistung“, die die Mitarbeiter der Bahn in der Flutnacht vollbracht haben.

Der damals 25-Jährige war zu dieser Zeit Gruppenleiter und Vertreter des Leiters im Bahnbetriebswerk. Er hatte Bereitschaftsdienst und war zu Hause. „An Schlafen war ohnehin nicht zu denken. Der Sturm war so laut und drückte gegen die Scheibe. Ich dachte, jeden Moment fällt die heraus.“ Als der Stördeich brach und die Marsch unter Wasser geriet, ahnte Rometsch noch nichts von dem, was auf ihn zukommen würde. Er saß in seiner Dachgeschosswohnung und hielt die vom Sturm eingedrückte Fensterscheibe fest.

Anfangs erfuhr der Bereitschaftsleiter nichts von der nahenden Katastrophe: Die Telefone waren lahm gelegt. Kurzerhand hatte sich der Bahnhofsvorsteher selbst auf den Weg gemacht, um Rometsch zu informieren. Aber der Strom war ebenfalls ausgefallen, die Klingel funktionierte nicht, und die Nachbarn hatten das Klopfen nicht gehört. Dann verlor der Bahnhofsvorsteher auch noch seine Dienstmütze. „Die habe ich aber am nächsten Morgen beim Spar-Laden wiedergefunden und ihm zurückgebracht“, berichtet Rometsch, der sich schließlich selbst auf den Weg zum Dienst machte.

Die Wassermassen hatten inzwischen Felder und Straßen überflutet. Die Bahnüberführung auf dem Alsen-Gelände war unterspült worden. Der Damm war auf einer Länge von etwa 40 Metern weggeschwemmt worden, acht Meter Gleise hingen frei in der Luft. „Da durfte auf keinen Fall ein Zug rüberfahren, das hätte ein großes Unglück gegeben.“ Mit Schüttwagen wurde versucht, den Damm wieder aufzufüllen – vergeblich. „Erfolg hatten wir erst, als die Straße frei war und Laster von der Straße aus die Erde an den Damm fahren konnten“, sagt Rometsch. Die Strecke blieb aber tagelang unterbrochen.

Das sorgte für ein weiteres Problem. Die Züge von Hamburg nach Sylt konnten nicht auf direktem Weg durchfahren. „Itzehoe war vom Durchgangs- zum Kopfbahnhof geworden.“ So wurden die Züge aus Hamburg von Elmshorn nach Wrist über Kellinghusen und Hohenlockstedt bis Itzehoe geführt. Sie standen allerdings „verkehrt herum“ und mussten erst gewendet werden. „Einen Rückwärtsgang gab es damals nicht“, so Rometsch. Die Dampflokomotiven wurden abgekoppelt und auf der Drehscheibe gedreht. Ebenso wurde mit den Loks aus Sylt verfahren. Es gab allerdings noch ein Problem: „Die Lokführer aus Hamburg hatten für die Umleitung keine Streckenkunde und durften dort nicht fahren. Es musste von uns also jedesmal ein Lotse gestellt werden. Funk gab es nicht. Und ohne Telefon war das eine logistische Meisterleistung“, sagt der Bereitschaftsleiter.

Überall an den Gleisen, den Bahndämmen und an den Brücken waren Instandsetzungstruppen unterwegs. „Was in dieser Nacht geleistet wurde, war auch bei der Bahn außergewöhnlich“, ist Wilhelm Rometsch überzeugt. Auch wenn das Wasser den Bundesbahnamtsrat nur bedingt beeindruckt hat, die Leistung der vielen Menschen, die in dieser Nacht gegen die Flut gekämpft haben, hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Sönke Rother