Alsen-Geschichte auf 166 Seiten

shz 24.01.2011 von Katrin Götz

Arbeitskreis Itzehoer Geschichte gibt Einblick in Historie der Zementfabrik / Zeitzeugen berichten vom Arbeiten auf Alsen

Eine Industrieruine mit ungewisser Zukunft. Das ist das Alsengelände heute. Nichts ist übrig vom Glanz vergangener Jahre, als die Zement-Fabrik einer der bedeutendsten Produzenten weltweit war, als das Gelände das Gesicht der Stadt prägte. Und doch steht Alsen auch – und gerade – heute noch im Fokus der Öffentlichkeit.

Grund genug für den Arbeitskreis Itzehoer Geschichte, die Historie der Fabrik, die 1863 ihre Produktion aufnahm, genauer zu beleuchten. Im Buch „Alsensche Portland-Cement-Fabrik Itzehoe“, das gerade erschienen ist, wird auf 166 Seiten die Firmengeschichte dargestellt. Als Grundlage diente eine Arbeit von Sabine Jebens-Ibs. Die Familie Alsen wird dabei ebenso vorgestellt wie Aufschwung und Krisen der Firma.

Zeitzeugen
Zeitzeugen (v. li.): Heinrich Sören (74), Gerd Hermann Schanze (84), Gerhard Sonnenburg (73) und Karl Wahl (86). MÜLLER-TISCHER

Schilderungen von Zeitzeugen sowie Bilder nehmen im Buch einen breiten Raum ein. So erzählt beispielsweise Karl Wahl (86) von der Drahtseilbahn, Gerhard Sonnenburg (73) berichtet vom „Arbeiten und Wohnen bei Alsen“ und Gerd Hermann Schanze (84) erinnert sich an die Flutkatastrophe 1962.

Es sei ein langer Weg gewesen bis zur Veröffentlichung, sagte Kirsten Puymann vom Arbeitskreis Itzehoer Geschichte bei der Vorstellung des Buchs – natürlich auf Alsen. Seit dem Frühjahr 2009 wurde daran gearbeitet. Initiator war das inzwischen verstorbenen Arbeitskreis-Mitglied Günter Fust. Er habe als „Chefkoch“ die Idee gegen alle Widerstände durchgeboxt. Und so sei mit einer großen „Küchenmannschaft“ etwas Leckeres entstanden: Die Holcim AG, in der Alsen weiterlebt, habe eine solide Kücheneinrichtung gestellt, Dr. Jörg Rathjen, der das Archiv auf gearbeitet hat, ergänzte „schmackhafte Zutaten“, das „Zeitzeugen-Gewürz“ sorgte für Geschmack und Sabine Jebens-Ibs lieferte die „Sättigungs beilage“.

Ziel sei es, einen geschichtlichen Einblick zu geben, aber auch zu weiteren Forschungen anzu regen. Das unterstützt Setus Studt vom Verein „Planet Alsen“: Man könne die Gegenwart nicht ohne die Geschichte erklären. Die Geschichte zu erhalten, sei eine Verpflichtung. „Deshalb wird man es auch in Zukunft nicht leicht mit uns haben, wenn man hier Geschichte beseitigen will.“

Leo Mittelholzer, Vorstandsvorsitzender der Holcim Deutschland AG, erinnerte an die frühere Bedeutung Alsens. Der „Elitezement“ aus Itzehoe sei weltweit gefragt gewesen – sogar beim Bau der Freiheitsstatue. „Immer, wenn es wirklich um die Wurst ging, hat man diesen Zement genommen.“

Präsentieren das Alsen-Buch (v. li.): Dr. Jörg Rathjen, Setus Studt, Kirsten Puymann und Leo Mittelholzer
Präsentieren das Alsen-Buch (v. li.): Dr. Jörg Rathjen, Setus Studt, Kirsten Puymann und Leo Mittelholzer. GÖTZ

All das lässt sich auch im Firmen archiv nachlesen, das jetzt im Kreis- und Stadtarchiv für jeden zugänglich ist – mit 81 laufenden Metern, 1465 Archivnummern und 470 Karten, Lageplänen und technischen Zeichnungen. Lohnbücher sind ebenso zu finden wie die Lehrlingskartei oder Hinweise zu den sozialen Einrichtungen wie den Betriebswohnungen und der Kranken kasse. Das Archiv zeige auch ein Stück Stadtgeschichte und erlaube einen Einblick in die Lebensverhältnisse früherer Zeiten, betonte Jörg Rathjen. „Es ist eine hochinteressante Sache, ich habe mich oft festgelesen.“ Nun hofft er, dass viele Itzehoer es ihm gleich tun und im Archiv „aus für tot erklärten Dingen wieder Lebensfunken schlagen.“

Das wünscht sich Gerhard Sonnenburg auch für das Alsen-Gelände. Im Betonlabor hat er früher gearbeitet – und in einem Alsen-Haus gewohnt. „Ich bin mit dem Werk groß geworden.“ Heute „fühlt es sich schlecht an“, wenn der 73-Jährige sieht, „wie alles in die Brüche geht“. Es müsse endlich etwas gestehen, die Stadt müsse handeln, fordert er. „Ein Jugendzentrum auf Alsen – warum nicht? Hauptsache, es passiert endlich mal was.“ Das Buch ist für 16,50 Euro in den Itzehoer Buchhandlungen, im gemeinsamen Archiv der Stadt und des Kreises sowie auf Alsen erhältlich.

Gesichtslos

shz 29.01.2011 von Katrin Götz

Die Geschichte eines der bedeutendsten Unternehmen in der Stadtgeschichte wird aufgearbeitet – und bei der Buchpräsentation sind alle da: Mitglieder des Arbeitskreises Itzehoer Geschichte, der Vorstandsvorsitzende und weitere hochrangige Mitarbeiter der Holcim AG, Zeitzeugen, interessierte Bürger… Wirklich alle? Nein, nicht ganz. Verwaltung und Politik glänzten auf Alsen durch kollektive Abwesenheit. Die, die sonst bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten Gesicht – besonders in Richtung Kamera – zeigen, fehlten ebenso wie jene, die auf Alsen gerne mal rote Teppiche ausrollen. Wenn es einer Demonstration des Stellenwertes bedurfte, den das Alsen-Gelände bei den Verantwortlichen in der Stadt hat – oder vielmehr nicht hat: Eindrucksvoller hätte sie nicht ausfallen können.